Tausche Leichtigkeit gegen Chaos

Darf es auch leicht sein? Diese Frage stelle ich mir oft. Vor allem, wenn es um die Arbeit geht. Warum eigentlich nicht? Beantworte ich mir im gleichen Zug selber. Leichtigkeit im Job wird von den meisten gleichgesetzt mit Langsamkeit und Ineffizienz. Eben dem Gegenteil von Dynamik und Aufstreben. Jede zweite Stellenanzeige beinhaltet: „Werden Sie Teil eines dynamischen Teams. Flexibilität und höchste Leistungsbereitschaft gehören bei uns zum guten Ton.“ What? Kann mir das jemand übersetzen? Was heißt das denn eigentlich? Ist das die Zukunft unserer Arbeitswelt? 

Leichtigkeit im Arbeitsalltag
Foto: Katharina Weins

Wohin der gute Ton?

Ein guter Ton bedeutet für mich: Respekt, Wertschätzung, Freundlichkeit und Anerkennung. Sich auf Augenhöhe begegnen. Wohin sind Werte wie Teamfähigkeit, Transparenz, Empathie, Leidenschaft für das eigene Tun und Handeln? Und vor allem echte Kompetenz im eigenen Job zeigen, leben dürfen und am Ende dafür Anerkennung und Wertschätzung erhalten? 

„Better done than perfect.“ Der Satz dröhnt mir noch Jahre hinterher. Einer meiner ehemaligen Vorgesetzten hatte ihn dick und fett auf eine Tafel im Durchgang unseres kleinen, hippen Office geschrieben. Jeder der zur Kaffeemaschine lief, las das also. Die Kaffejunkies unter uns - ich nehme mich da nicht raus - mehrfach am Tag. Das Prinzip von „Wiederholung prägt sich ein“ wirkte hier - zum großen Teil erfolgreich bei der gesamten Belegschaft. Ich bin selber kein Fan von Perfektionismus, obwohl ich wohl eher eine Neigung dazu habe. Ich kann heute jedoch behaupten: Ich habe ihn auf ein gesundes Maß begrenzen können. Zurück zu diesem einen Satz, den jeder Mitarbeiter nun in der Teamsitzung dann mehrfach wiederholte: „Better done than perfect.“. Ich kann es nicht mehr hören. Ja genau. „Better shit than quality!", denke ich mir, während wir nun schon 15 Minuten in einem sinnlosen Meeting unsere Zeit vergeuden, um über diesen Satz zu diskutieren.

Dieser Satz bringt jedoch den Zustand vieler Unternehmen unserer heutigen Zeit direkt auf den Punkt. Quantität vor Qualität. Aber gerne darf es natürlich auch 200 % stimmen und schnell muss es gehen. Eigentlich immer schneller. Was letzte Woche genau richtig war, muss diese Woche noch besser gehen. 

Mehr Effizienz für noch mehr Arbeit 

Und da ist der Haken. Mehr Effizienz bedeutet ja erst mal nichts Schlechtes. Im Gegenteil. Doch hier liegt der Hund begraben. Wir gewinnen durch die Effizienzsteigerung wieder mehr Zeit. Sprich, mehr Platz für neue Aufgaben. Noch mehr Arbeit. Noch mehr Ergebnisse oder übersetzt in die Marketingsprache: noch mehr „Output“. „Go forward , aber bitte asap!“ 

Klingt auf den „ersten Blick“ nicht schlecht - zumindest für die Unternehmen. Beim genaueren Betrachten schleichen sich jedoch genau hier die kleinen Problemchen ein. Langsam entwickelt sich eine „Dynamik“, die sowohl für den einzelnen Angestellten als auch für das Unternehmen langfristig ungesund werden kann. Solange der Mitarbeiter noch mitkommt, ist doch alles gut, denkt sich der/die ein oder andere Unternehmer/-in. Irgendwann wird jedoch in den meisten Fällen der Punkt erreicht, wo die Grenze überschritten ist und Plan A nicht mehr funktioniert. Ok. Greifen wir zu Plan B. Lagern wir einen Teil aus. So zumindest bei vielen Unternehmen. Als sei Outsourcing die Lösung aller Ressourcenprobleme. Oder wir nutzen das neue KI (Künstliche Intelligenz) Tool, welches uns die Texte selbst schreibt. Einfach nur die eigenen „Buzzwords“ copy & pasten. Ist in 5 Minuten erledigt. Output nur mit 200 Bugs, die von Menschenhand wieder korrigiert werden müssen. Entschuldigt bitte, ich muss hier leicht schmunzeln. Verzeiht mir dieses Fachjargon oder auch Denglisch (Mix aus Deutsch und Englisch - oft im Marketing eingesetzt. Soll eine bestimmte Situation, einen Zustand oder ein Wort vermeintlich hipper klingen lassen.)

Nun hat der Mitarbeiter wieder mehr Platz gewonnen. Dieser Platz wird jedoch wieder automatisch und langsam schleichend gefüllt. Meist geschehen die Prozesse auf unbewusster Ebene. Und schon sind wir in einem großen Chaos aus vielen unüberschaubaren digitalen Tools, einer Gruppe an Menschen, die gleiche Arbeit leisten, sich kaum austauschen, parallel gleiche Dinge erledigen und der/die Mitarbeiter/-in hat am Ende weniger Zeit als vorher. Ich könnte hier Stunden weiter ausführen. Ihr wisst schon, wo das endet. Frust ist vorprogrammiert. Und nun? Nun  kommen wir leider zum traurigen Teil unserer gegenwärtigen Arbeitswelt. Oft ist hier der Punkt erreicht, wo der/die Mitarbeiter/-in das Unternehmen verlässt oder verlassen wird. 

Die vergessene Leichtigkeit 

Muss es denn so weit kommen? Wohin ist nur die schöne Leichtigkeit? Entspannt und mit Freude an der Arbeit sitzen und am Abend zufrieden lächelnd nach Hause kommen und gleichzeitig mehr erledigt haben, als man sich sogar vorgenommen hat. Geht das nur noch, indem wir uns alle selbst verwirklichen und in die Selbstständigkeit stürzen? Auch jene, welche eigentlich dafür gar nicht geschaffen sind? Können wir hier nicht gemeinsam eine neue Arbeitswelt schaffen, die wieder mehr Leichtigkeit erlaubt? Auf allen Ebenen?

Ich bin der Meinung, dass es dazu ein Umdenken und eine Annahme benötigt. Die Annahme, dass man Leichtigkeit verspüren darf im Alltag und vor allem im Job. Dieses Flow Gefühl, von dem so viele Kreative berichten. Bei dem sich alles federleicht anfühlt. Eine Gesellschaft, die einen anstrengenden Gesichtsausdruck, Hektik, never ending To Do Listen, einen überquellenden Terminkalender, immer währende Erreichbarkeit, Chaos und Leistungsdruck als „richtige“ Arbeit definiert, kann meiner Meinung nach keine Leichtigkeit erreichen. Somit aber gleichzeitig auch weniger Effizienz, weniger Kreativität, weniger Innovation und vor allem weniger Qualität.

„Wenn Zuschauer im Theater nach der Vorstellung in frenetischen Beifall ausbrechen, dann muss eine grundlegende Qualität sichtbar geworden sein. Die Zuschauer brauchen dafür keine Checklisten und müssen auch keine Fachleute in der Bewertung von Leistungen sein. Die Qualität ist offensichtlich erkennbar und darauf reagieren Menschen.“ - Tom Peters, Unternehmensberater und Autor

Für mehr Kreativität und Innovation

„Arbeit ist kein Spaß!“, sagte mir ein ehemaliger Kollege. Da bin ich anderer Meinung. Arbeit darf und soll Spaß machen. Das ist ein Faktor, der uns gleichzeitig in Leichtigkeit versetzen kann. Zumindest geht es mir so. Ich bin Fan von Digitalisierung und mittlerweile - auch wenn ich eher zur Kategorie  "kreative Chaoten" gehöre -, für meine Verhältnisse sogar recht schön strukturiert und geplant. Warum? Weil mir die Planung und Struktur so viel mehr Leichtigkeit und Platz schenken für mehr Kreativität und Lebensfreude. Für Dinge, die mir Spaß machen - im Job und auch privat. Gleichzeitig verschafft es mir mehr Effizienz und das wiederum mehr Zeit. Ich versuche jedoch auch, den durch Planung, Tools, und Digitalisierung geschaffenen Platz zu nutzen und nicht wieder mit neuen To Dos und Terminen zu stopfen. Nutzen zur Reflexion, um Erfolge zu feiern, die Kreativität zu fördern. Es ist sogar nachgewiesen, dass Pausen und Freiraum zu mehr Ideen führen, als ein vollgestopfter Terminkalender. Ebenso nehme ich mir mittlerweile einen festen Tag in der Woche raus, der mein Tag ist. An dem ich konsequent nicht arbeite. Einer meiner wichtigsten Tage der Woche. Aber auch die vielen Pausen zwischendurch sind mir wichtig.

Ich weiß, dass es nicht einfach ist, diese Dinge in den Alltag einzuführen. Das braucht Zeit und ein aktives Zulassen dieser Zustände. Das beginnt wohl auf oberster Führungsebene, was die klassische Arbeitswelt angeht und natürlich in erster Linie bei uns selbst. Ein Wandel vom Streben nach mehr zu mehr Zufriedenheit und Dankbarkeit für das, was schon da ist. Eine feste Integration von mehr Raum und Leichtigkeit in die Arbeitszeit. Und so Schritt für Schritt weiter gehen. Leichtigkeit bedeutet keinesfalls Stillstand. Sie fördert vor allem Innovation und Kreativität, die für Wachstum unabdingbar sind. Werte wie Empathie, Respekt, Wertschätzung, Transparenz und Anerkennung begleiten uns dabei. Alleine, wenn ich diese Zeilen zum Schlusswort schreibe, fühlt sich alles gerade federleicht an. Ich mache jetzt eine Pause. Schalte ab. Digital und gedanklich. Vielleicht ein paar Stunden, vielleicht auch den ganzen Tag. So, wie ich es jetzt brauche. Für neue Ideen und vor allem für mehr Leichtigkeit.

 

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