Vor circa 2 Jahren hat sich das Leben von Gabriela Kluge innerhalb von Sekunden radikal verändert. Durch einen plötzlichen Riss der Aorta nahe am Herzen kam sie dem Tod gefährlich nahe. Wie sie das wahrgenommen hat und welche neuen Perspektiven sich aus diesem Erlebnis sowie auf dem Weg des Genesungsprozesses ergaben, erzählt uns Gabriela in diesem berührenden und mutmachenden Interview.
Liebe Gabriela, vor zwei Jahren hat sich dein Leben von jetzt auf gleich einschneidend verändert. Was ist passiert und wie hast du das wahrgenommen?
Ja, es kam sehr plötzlich. Das ist jetzt fast 2 Jahre her. Ende November 2018 kam ich an einem Sonntag erschöpft von einem arbeitsreichen Wochenende aus dem Ausland nach Hause. Ich arbeitete im Management einer großen internationalen gemeinnützigen Organisation für Mediziner. Mein Verantwortungsbereich lag in der Weiterbildung und Organisation von Veranstaltungen innerhalb Europas und auch online. Dieser letzte Workshop vor Weihnachten hatte mich nach Brüssel geführt. Zwischen meinen vielen Auslandsaufenthalten hatte es in den letzten Monaten kaum Kompensationstage und Zeit für mich zum Entspannen gegeben. Trotzdem, ich erschien nach Außen zufrieden und ausgeglichen. Ich akzeptierte den Stress, denn ich liebte mein Aufgabengebiet, die Menschen und auch das Gefühl, dass ich durch meine Mitarbeit etwas Wichtiges beitragen konnte.
Am nächsten Tag, an einem Montagmorgen, änderte sich alles ohne Vorwarnung. Direkt im Büro während einer Sitzung mit allen Kollegen passierte etwas Gravierendes mit mir. Ganz plötzlich und so überraschend, dass ich auch heute noch nicht ganz erfassen kann, was sich genau ereignete und warum ich überlebte.
Ich erlitt einen akuten Aortenriss an der aufsteigenden Aorta, ganz nahe am Herzen. In den meisten Fällen ist das tödlich, weil schnell und vor allem richtig gehandelt werden muss und die Diagnose nicht täglich vorkommt. An diesem Tag geschahen für mich viele kleine Wunder. Eine ganze Reihe von Umständen und Handlungen begannen sich zu entfalten und alles fügte sich für mich in einer Weise, sodass die richtige Diagnose schnell gestellt wurde. Ich kam in das Krankenhaus, welches über die notwendigen Spezialisten verfügte und konnte durch eine sofortige Notoperation am offenen Herzen gerettet werden. Es folgten Intensivstation, einige Wochen Krankenhaus, Reha und danach eine lange Genesungsphase.
Mit dem Moment meiner Aortendissektion änderte sich alles in meinem Leben. Nicht nur körperlich. Ich begann mein Leben kritischer aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und entdeckte einige Dinge, die schon lange nicht mehr stimmten. Gezwungenermaßen war jetzt der Zeitpunkt einer Veränderung gekommen. Mein Festhalten am Job oder etwa das Klammern an meinem jüngsten Sohn, damals noch in der Lehre, hatten möglicherweise zu meinem Notfall beigetragen. Noch im Krankenhaus und trotz der Schmerzen und Schwäche wurde mir sehr schnell klar, dass der berufliche Stress zusammen mit den privaten Unstimmigkeiten einen großen Einfluss darauf hatten, warum mein Körper mir so drastisch zeigen musste: So geht es nicht weiter!
Ich bin dem Tod extrem nahegekommen. Das betonten die Chirurgen nach der OP mehrmals. Sie schienen sogar über meine Fortschritte und später die Heilung überrascht zu sein. Ich war es nicht. Mein inneres Wissen, meine Intuition, hatte mir noch im Krankenwagen und auch gleich nach der Operation zu verstehen gegeben, dass dieses Ereignis ein Wachrütteln, eine zweite Chance war und sich mir damit eine dringend notwendige Möglichkeit zur Selbstreflexion und Veränderung bieten würde. Dass ich an dem Morgen, dem 26. November 2018, sterben sollte, war anscheinend nicht Teil meines Plans.
Was ist danach geschehen?
Was danach kam, war alles andere als einfach. Der Prozess der Genesung war ein langer und schwieriger Weg. Wiederkehrende Todesängste plagten mich, wenn mein Körper anders reagierte, als ich es von ihm gewohnt war. Dazu kam eine unglaubliche körperliche Schwäche, wie ich sie als vorher fitte, gesunde Person und aktive Rennradfahrerin nicht kannte. Das allein bedeutete eine riesige Veränderung. Mein Körper war zu einem unbekannten Wesen geworden, reagierte anders, als ich ihn bisher kannte, bereitete Schmerzen, wirkte extrem zerbrechlich, schwach und unberechenbar.
Ich bin ein ungeduldiger Mensch, eine „Macherin“, packe Dinge gerne an, finde Lösungen für Probleme und glaubte bisher, mich ganz gut zu kennen. Nach dem Vorfall stimmte das alles nicht mehr. Es fiel mir schwer, die neue Gabriela zu akzeptieren, die auf einen Schlag viel langsamer war, leicht überfordert, nicht an mehrere Dinge gleichzeitig denken konnte und die zunächst lernen musste, sehr bedächtig und fürsorglich mit sich umzugehen. Von Fitness war nichts mehr zu spüren. Jeder kleinste Spaziergang oder Einkauf fiel mir extrem schwer, Treppensteigen schien zunächst unmöglich. Aufs Fahrrad stieg ich sehr lange nicht. Als ich dann endlich aufstieg, beschlich mich bereits nach kurzer Zeit die Angst, mein künstliches Stück Aorta würde dem Druck der Anstrengung nicht standhalten und wieder reißen.
Welche Situationen waren für dich besonders herausfordernd?
Ich glaube, das Loslassen meines Jobs war die größte Herausforderung. Meine Assistentin hatte inzwischen meine Position übernommen und ich wollte einfach lange nicht wahrhaben, dass für mich eine Veränderung auch in diesem Bereich anstand. Ich hatte große Schwierigkeiten, mich zu lösen. Als ich nach circa sechs Monaten wieder ins Büro kam, hatte sich vieles verändert und da ich fortan lediglich 50 Prozent arbeiten durfte, fiel es mir unglaublich schwer, mit den Neuerungen und Veränderungen Schritt zu halten. Ich war verletzt darüber, wie meine Chefin meine Fähigkeiten ganz nüchtern einschätzte und mir eine andere Position mit viel weniger Verantwortung und Stress zuwies. Ich habe lange gebraucht, um einzusehen, dass diese Veränderung für mich nützlich und für meine weitere Entwicklung absolut notwendig war.
Was hat sich seither in deinem Leben verändert?
Als größtes Geschenk sehe ich meine innere Veränderung. Ich kann das Leben mehr genießen. Mir bewusst Zeit nehmen. Ich kann Geschehnisse lockerer nehmen und erkenne oft deutlich den Sinn hinter einer Herausforderung. Zusammenhänge - auch im Weltgeschehen - werden mir schneller klar und ich habe die Möglichkeit erhalten, zu lernen, meine Zeit anders zu nutzen. Ich lebe im Wesentlichen jetzt stressfrei, wenn auch noch nicht ganz ohne Ängste. Diese sind mir sehr viel bewusster geworden. Ich kann sie nicht mehr verstecken. Ich nehme meine Ängste wahr wie Wellen, die über mich hinwegschwappen, mir Stress bereiten und sich dann aber auch wieder zurückziehen. Damit meine ich z. B. Existenzängste, Ängste um meine Kinder, um meine Zukunft und ich spüre diese Ängste viel intensiver als vorher. Den Ängsten folgt immer eine enorme Freude, Lebenslust und Dankbarkeit über mein Leben und über alles, was ich noch erleben darf.
In deinem Blog "theheartknows.org" erzählst du über deine Nahtoderfahrung und nimmst uns mit auf deine persönliche Reise.
Ja, dieser Blog ist meine Herzensangelegenheit. Ich wollte die Geschehnisse in einer Art Journal festhalten und danach auch weiterhin über meine Entwicklung berichten. Schon bald nach der Reha bemerkte ich, wie schnell die Ereignisse, die Schmerzen und die Panik zu verblassen schienen und es war mir wichtig, zunächst für mich selbst meine Entwicklungsschritte und Erfahrungen aufzuzeichnen. Wenn ich beispielsweise auf das letzte Jahr zurückblicke, sind mir einige meiner damaligen Ängste bereits fremd und auch die lang anhaltende körperliche Schwäche wirkt auf mich jetzt schon fast surreal. Im Moment spüre ich, dass neue Entwicklungsschritte anstehen, bevor ich danach wieder in meinem Blog berichten werde.
Letztendlich wünsche ich mir - mit meiner Arbeit und meinen Aufzeichnungen - anderen Menschen, die ebenfalls durch Krankheit oder sonstige Umstände an einem Scheideweg angekommen sind, die Klarheit und den nötigen Mut zum Umdenken zu schenken. Ich möchte ihnen mitgeben, dass es manchmal besser ist, eine vielleicht unausweichliche Veränderung frühzeitig anzugehen. Und viel mehr auf die eigene Intuition zu hören. Ich wollte den Stress und die Unstimmigkeiten in meinem Leben lange nicht wahrhaben. So lange, bis es um ein Haar zu spät gewesen wäre.
Wie hat sich diese Erfahrung auf dein weiteres Leben und auf dein Zusammenleben mit Familie und Freunden ausgewirkt?
Ich durfte erfahren, wie sehr meine drei Kinder mich lieben, auch wenn wir uns nur selten sehen können. Es erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit, dass sie bei mir waren und mir zeigten, wie wichtig ich ihnen bin. Das war mir vorher nie so bewusst und meinen Kindern wohl auch nicht, denn ich war ja bislang gesund gewesen und einfach immer die „Mama“, die weit weg in der Schweiz lebte.
Was würdest du heute Menschen mit auf dem Weg geben, um einfacher mit Veränderungen umzugehen?
Ich habe erkannt, dass Veränderung immer etwas Positives bedeutet. Natürlich kommt es darauf an, zu erkennen, was im Einzelfall ansteht. Das ist vielleicht das Schwierigste daran. Wenn man erst einmal sicher ist, dass eine Veränderung ansteht, werden sich Möglichkeiten ergeben und die nötigen Schritte fallen danach etwas leichter. Denn dann begleitet einen die innere Sicherheit, dass die geplante Veränderung richtig ist und man sich geführt fühlen darf.
Was hast du konkret aus deinem Erlebnis mitgenommen?
Gabriela in drei Worten:
Erneuerung, Zukunft, Lebendigkeit.
Liebe Gabriela, vielen Dank für das Teilen deiner persönlichen Geschichte. Ich glaube, sie gibt vielen Menschen den Mut, darauf zu vertrauen, dass Veränderung ein wichtiger Teil in unserem Leben ist. Und wir daran wachsen, sofern wir diese Veränderung zulassen und uns dabei nicht selbst im Wege stehen.
Mehr zu Gabriela und ihrer Geschichte: theheartknows.org
Karolin ist ehemalige Profisportlerin. Sie hat in München Sportwissenschaften mit Schwerpunkt Rehabilitation und Prävention studiert. Es folgte ein Master in Sport Administration and Leadership (USA) sowie in Nutrition and Health (Zurich). Heute ist sie Präventionsexpertin, Naturliebhaberin und Achtsamkeitspraktizierende. Seit 2019 ist Karolin selbstständig und unterstützt mit ihrem Unternehmen go beyond andere Menschen dabei, Stress besser regulieren zu lernen.