Die Suche nach dem Sinn des Lebens begleitet mich schon lange. Viel Zeit und Energie steckte ich die letzten Jahre in diese “Mission”. In allem, was ich tat, wollte ich einen Sinn finden. In meiner Arbeit, in den Beziehungen zu meinen Mitmenschen, selbst Krisen sollten einen tieferen Sinn offenbaren. „Alles geschieht aus einem Grund“ ist ein Satz, der lange meine Gedanken prägte. Doch vor einigen Monaten tauchte wie aus dem Nichts eine Frage in mir auf und stellte all diese Bestrebungen auf den Kopf: „Was, wenn der Sinn des Lebens einfach leben ist?“.
Die nächsten Wochen liess mich dieser Gedanke nicht mehr los. Ich wälzte philosophische und wissenschaftliche Texte, um endlich eine Antwort zu finden. Gibt es denn einen Sinn und wenn ja, welcher ist das? Ich wollte wissen, woher bei uns Menschen dieser ständige Wunsch nach dem Sinn des Lebens kommt. Eines wurde mir dabei klar: Eine abschliessende Antwort gibt es nicht. Selbst Wissenschaft und Philosophie sind sich nicht immer einig.
Die Suche nach einem Sinn ist uns angeboren
Blickt man zunächst in die wissenschaftliche Richtung, so wird einem klar, dass die Suche nach einem Sinn biologisch in uns Menschen verankert ist. Alles, was wir mit unseren Sinnesorganen wahrnehmen, fällt dieser Sinngebung zum Opfer. Mit Augen und Ohren können wir zum Beispiel nur neutrale Reize aufnehmen. Verleihen wir dann verschiedenen Lichtstrahlen oder Tönen in unserem Gehirn einen Sinn, ermöglicht uns dies, ein Objekt zu erkennen oder ein Wort zu hören. Würden wir dem Gesehenen oder Gehörten keinen Sinn verleihen, wären nur ungeordnete Lichter oder Töne wahrnehmbar. Erst durch den Prozess des Sinngebens, des Organisierens und Erklärens im Gehirn, können wir durch unser Leben navigieren. Wir geben den Dingen, alleine schon durch diese Vielzahl an unbewussten Prozessen, immer wieder einen Sinn. Jeden Tag und in allem, was wir wahrnehmen. Kein Wunder, dass der Wunsch nach einem Sinn im Leben so groß ist und eine gewisse Sinnlosigkeit uns verwirrt oder frustriert zurücklässt.
Andere wissenschaftliche Theorien geben uns Hinweise darauf, dass ein gewisser Sinn positive Auswirkungen auf uns haben kann. Sobald wir eine Sinnhaftigkeit spüren, blühen wir auf und sind stressresistenter, sagen beispielsweise Martin Seligmann (PERMA Theorie der positiven Psychologie) und Aaron Antonovsky (Konzept der Salutogenese). Diese Ansichten können wir gut nachvollziehen. Wenn etwas für uns Sinn ergibt, dann fühlen wir uns wohl und alles passt einfach zusammen. Wer kennt nicht diese Momente, in denen es “Klick” macht und alles plötzlich so klar erscheint?
Der Psychiater Viktor Frankl geht in seinem Buch „… trotzdem Ja zum Leben sagen“ – in dem er seine Zeit im Konzentrationslager beschreibt – sogar so weit, zu behaupten, dass ein Sinn im Leben höhere Überlebenschancen mit sich bringt. Er beobachtete die Menschen, welche mit ihm im KZ waren und konnte klar unterscheiden, wer durch ein Sinngefühl länger überlebte. Später gründete er daraus seine Logotheraphie (griech. lógos „Sinn, Gehalt“), in der er das Streben nach dem Sinn als stärkste Motivationskraft im Leben vertritt. Im Zitat von Nietzsche: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“, wird klar, dass ein Sinngefühl oder ein Ziel vielleicht sogar außergewöhnliche Kräfte mobilisieren kann.
Ist die Suche nach dem Sinn für unser Wohlbefinden förderlich?
Eine andere Betrachtung vom Streben nach dem Sinn findet sich in manchen fernöstlichen Philosophien. Dort gibt es teilweise die Ansicht, dass uns die Suche nach einem Sinn eher unzufrieden zurücklässt, statt uns Glück einzubringen. So sagte schon Osho – ein berühmter indischer Philosoph -, dass es kein Ziel des Lebens gebe. Leben selbst sei das Ziel. Jedes andere Ziel wie Ruhm, Erfolg, Geld und auch Erfüllung sei ein Konstrukt unseres Verstandes. Auch der Wunsch nach einem tieferen Sinn ist oft nur ein Begehren des Menschen. Ein Streben danach, das Leben zu verstehen und zu erklären, was aber vielleicht niemals vollends möglich sei. Da sich jedes Ziel immer in der Zukunft befindet, leben wir nie wahrhaftig unser Leben im jetzigen Moment. Stattdessen jagen wir diesen Zielen hinterher. So erklärt er, dass wir oft erst am Ende des Lebens entdecken, dass wir aufgrund der ganzen Sinnsuche verpasst haben, zu leben.
Traditionen, wie die Achtsamkeit oder der Buddhismus, bemühen sich jeden Moment, jeden Gegenstand und jede Handlung so achtsam wie möglich wahrzunehmen, ohne sich in den Automatismus des Sinngebens zu verfangen. Sie üben sich mit Hilfe von Meditation und Kontemplation darin, jedes Geschehnis achtsam wahrzunehmen, ohne es zu interpretieren. Töne wirklich als Töne wahrzunehmen, ohne sofort das Wort dahinter verstehen zu wollen. Objekte in ihrer Ganzheit wahrzunehmen, ohne ihnen bereits mit dem Verstand einen Namen zu geben. Ihrer Meinung nach sei dies der Weg zum wahren inneren Glück, weil wir die Welt erkennen, wie sie ist und sie nicht mehr so sehen, wie wir sie sehen möchten. Ein Kommen und Gehen von Ereignissen.
Das Leben muss nicht verstanden werden, es darf einfach gelebt werden.
Vielleicht lassen sich diese verschiedenen Ansichten aber auch vereinen: Das Gefühl einer sinngebenden Tat hinterlässt in uns ein wohliges Gefühl, während uns die stetige Suche danach unzufrieden machen kann. So erkennen wir, dass vielleicht kein übergeordneter Sinn im Leben notwendig ist. Jede unserer Handlungen, kann an sich schon sinnhaft sein. Oft liegt es an uns selbst, wem oder was wir einen Sinn zuschreiben. Es gibt keine Tätigkeiten oder Dinge, die rein objektiv Sinn machen. Wir alleine entscheiden, was wir als sinnhaft empfinden. Wenn wir lernen, im Alltäglichen den Sinn zu entdecken, ohne ständig danach zu suchen, können wir bewusst die positiven Effekte des Sinngefühls genießen und jeglichen Stress reduzieren.
Hat nicht jede noch so kleine Tätigkeit einen Sinn, den wir darin finden können? Zähneputzen hält unsere Zähne gesund. Kochen gibt uns wohltuende Nahrung. Ein Spaziergang tut unserem Körper gut. Die gute Tat trägt zum Gemeinwohl bei. Die Arbeit bringt uns Geld zum Leben ein. Der Schlaf regeneriert unseren Körper. Mit diesem Ansatz können wir in jedem Moment des Lebens einen Sinn finden. Wir können dieses Gefühl der inneren Zufriedenheit leben, anstatt großen Zielen und einem übergeordneten Sinn hinterherzulaufen mit der Gefahr, zu vergessen, einfach zu leben.
Kristina hat ursprünglich Psychologie studiert. Sie arbeitet in einer globalen Firma als Führungskraft und weiss, wie sich ein viel beschäftigtes Leben anfühlt. Dort leitet sie Meditations- und Achtsamkeitsworkshops. Als ganzheitliche Gesundheitsberaterin arbeitet Kristina zudem mit Menschen zusammen, die durch die hohen Anforderungen des heutigen Berufslebens immer wieder über physischen und psychischen Stress und seine Auswirkungen stolpern.